Auf Madagaskar kann man es recht häufig beobachten: Das sogenannte Zungentestverhalten. Dabei verlagert ein gemächlich laufendes Chamäleon seine Zunge ein Stück nach vorne, so dass zwei kleine Fortsätze unter der Zungenspitze sichtbar werden. Mit diesen beleckt das Tier dann mittels einer nickenden Kopfbewegung Äste, Blätter oder andere Untergründe. Das Verhalten tritt quer durch alle Gattungen und Arten auf. Wir konnten es sowohl bei Erdchamäleons wie auch Baum bewohnenden Chamäleons auf Madagaskar beobachten, bei Männchen und Weibchen, bei Jungtieren und adulten. Das Verhalten tritt vor allem dann gehäuft auf, wenn Chamäleons eine neue Umgebung erkunden. Manche Stellen werden gleich mehrfach und besonders sorgfältig mit der Zunge getestet. Bewegt sich ein Chamäleon schnell oder befindet es sich in der Gesellschaft eines Kontrahenten, tritt das Zungentestverhalten nicht auf.
Vermutet wird, dass die Zungentests der innerartlichen Kommunikation bei Chamäleons dienen. Bei nicht-madagassischen Chamäleons konnte gezeigt werden, dass sie das Zungentestverhalten vermehrt an solchen Stellen zeigten, an denen Artgenossen zuvor ihre Maulwinkel gerieben hatten. Die Maulwinkel vieler Chamäleonarten tragen sogenannte Temporaldrüsen, deren Eigenschaften noch nicht vollständig geklärt sind. Es wird angenommen, dass das Reiben des Drüsensekrets an Ästen einer Art Markierung dient. Ob diese Markierung „Reviere“ abgrenzt oder Hinweise zum markierenden Chamäleon, beispielsweise Geschlecht und Paarungsbereitschaft, gibt, ist noch unklar. Ähnlich könnte das Reiben der Kloake an Ästen solchen Markierungen dienen.
Im Maul von Chamäleons befindet sich das sogenannte Jacobson’sche Organ. Es liegt im Gaumen und verfügt über geruchsempfindliches Epithel. Durch das „Abtasten“ von Ästen und Blättern mit der Zunge könnten Chamäleons die aufgenommenen Geruchspartikel dem Jacobson’schen Organ besser präsentieren als wenn sie bloß den Kopf darüber beugen würden. Allerdings ist das Jacobson’sche Organ und damit der Geruchssinn bei Chamäleons im Gegensatz zu anderen Reptilien eher schwach entwickelt. Es könnte aber sein, dass mit dem Zungentest Sexualhormone (Pheromone) erkannt werden– damit könnte das Zungentestverhalten bei der Partnersuche helfen. Bei Stachelleguanen (Scleroporus jarrovii) kann man ein ähnliches Zungentestverhalten beobachten. Es tritt bei ihnen ebenfalls bei der Erkundung fremder Orte auf. Nachgewiesen wurde bei Stachelleguanen, dass das Zungentestverhalten wesentlich mit dem Auffinden gut genährter Sexualpartner zusammen hängt. Ein ähnliches Verhalten beobachten wir auf Madagaskar bei Chamäleons: Vor allem Männchen zeigen das Zungentestverhalten auffällig oft an Ästen, über die zuvor ein interessantes Weibchen gelaufen ist.
Dass das Zungentestverhalten dem Auffinden von Beutetieren dient, wie vor vielen Jahrzehnten mal vermutet wurde, scheint eher unwahrscheinlich. Augen und Zunge sind bei Chamäleons stark spezialisiert auf sein Dasein als Lauerjäger, nicht aber als aktiv umher suchender Jäger.
Möglich wäre zuletzt, dass das Zungentestverhalten der Warnung vor Fressfeinden wie Schlangen dienen könnte. Schlangen bewegen sich mit ganzen Körper über Äste, hinterlassen also sicherlich olfaktorische Spuren. Bisher konnte allerdings keine Studie einen Zusammenhang von Zungentestverhalten bei Reptilien mit dem Vermeiden potenzieller Fressfeinde nachweisen.
Insgesamt steht Forschung zu diesem Thema bei Chamäleons noch fast vollständig aus.