Unter vielen Chamäleonhaltern ist sie ein wiederkehrendes Thema: Die Winterruhe im Terrarium. Sollte man eine halten, wenn ja bei welchen Arten und warum überhaupt? Dieser Artikel soll dem Ganzen ein wenig auf den Grund gehen und die Gegebenheiten auf Madagaskar erklären.
Winterschlaf, Winterruhe und Kältestarre
Den Winterschlaf (Hibernation) kennt jeder: Manche Säugetiere wie das Murmeltier fallen in der kalten Jahreszeit in einen Ruhezustand. Dabei sinken Körpertemperatur und Stoffwechsel sehr stark ab, sie „verschlafen“ den Winter und wachen erst im Frühjahr wieder auf.
Eine Winterruhe dagegen beschreibt einen Zustand von Säugetieren, bei dem Ruhe- und Wachphasen sich abwechseln. Braunbären und Eichhörnchen beispielsweise führen eine Winterruhe durch, keinen Winterschlaf. Die Körpertemperatur sinkt nicht ab, der Stoffwechsel ist jedoch insgesamt vermindert. Tiere, die eine Winterruhe halten, fressen und trinken weiter und setzen auch weiter Kot und Urin ab.
Bei der Kältestarre handelt es sich wiederum um etwas, was dann endlich auch Reptilien betrifft: Wenn die Umgebungstemperatur absinkt, sinkt in gleichem Maße die Körpertemperatur von Reptilien. Je niedriger die Temperatur geht, desto weniger Stoffwechsel findet statt. Schließlich sind Herz- und Atemfrequenz so niedrig, dass das Tier im maximalen Fall gerade so überlebt.
Tatsächlich treffen alle diese Begriffe auf madagassische Chamäleons eigentlich nicht zu. Der Begriff „Winterruhe“ hat sich in der Terraristik unter Chamäleonhaltern zwar eingebürgert, passt aber nur eingeschränkt. Treffender wäre, die Trockenzeit auf Madagaskar als klimabedingte Zeit verminderter Aktivität bei Chamäleons zu beschreiben.
Trocken- und Regenzeit auf Madagaskar
Auf Madagaskar ist die kühlere Jahreszeit die Trockenzeit. Sie reicht ungefähr von April bis Oktober. Während dieser Zeit regnet es je nach Region auf Madagaskar deutlich weniger (Norden, Ostküste) oder kaum bis überhaupt nicht mehr (Westen und Süden). In Trocken- und Dornwäldern verlieren viele Bäume bzw. Pflanzen während der Trockenzeit ihre Blätter, in Regenwäldern blüht lediglich weniger. Tagsüber wird es durchaus noch warm, nachts jedoch kühlen die Temperaturen empfindlich ab. Der Temperaturwechsel zwischen Tag und Nacht kann in der Trockenzeit beispielsweise in Morondava bis zu 20°C betragen. Einige Orte im zentralen Hochland Madagaskars erreichen während der Trockenzeit sogar einstellige Temperaturen. Während der Trockenzeit ist das Nahrungsangebot karger, die Chamäleons finden daher weniger zu fressen. Die meisten Tiere zeigen eher blasse, dunklere Farben. Sie „ruhen“ nicht richtig, aber ihre Aktivitäten sind insgesamt deutlich reduziert.
Die folgenden Fotos zeigen jeweils links eine Region auf Madagaskar in der Trockenzeit und rechts einen Ausschnitt der gleichen Gegend zur Regenzeit. Die Unterschiede sind mehr als deutlich – genau so sieht man sie auf Madagaskar jedes Jahr wieder.
Erst mit der einsetzenden Regenzeit ab November steigen die Temperaturen stark an und es regnet mehr und ergiebiger. Gewitter sind dann an der Tagesordnung. Mit steigenden Temperaturen wird auch das Nahrungsangebot größer. Die Fortpflanzungssaison der Chamäleons beginnt. Sie endet erst wieder mit den fallenden Temperaturen im April.
Die Tageslänge ändert sich das ganze Jahr über auf Madagaskar übrigens kaum. Auf der Insel herrschen durchgehend rund 11 Stunden Sonne und 13 Stunden Dunkelheit, mit Abweichungen von maximal zwei Stunden im Jahresverlauf. Der Unterschied zwischen Trocken- und Regenzeit wird auf Madagaskar also kaum durch die Tageslänge, aber sehr stark durch Temperaturen generell und einen starken Abfall der Nachttemperatur in der Trockenzeit bestimmt.
Anhand zweier Beispiele sollen die Unterschiede zwischen Trocken- und Regenzeit genauer beleuchtet werden. Die angegebenen Daten im Jahresverlauf wurden von uns innerhalb mehrerer Jahre mit Thermo- und Hygrometern direkt an den Fundorten von Chamäleons gemessen und zusammengetragen.
Ort: Toliara | Jan | Feb | Mär | Apr | Mai | Jun | Jul | Aug | Sep | Okt | Nov | Dez |
Durchschnittl. Temperatur | 27 | 27 | 26 | 25 | 23 | 21 | 20 | 21 | 22 | 23 | 25 | 26 |
Minimale Temperatur |
22 | 22 | 21 | 20 | 17 | 14 | 14 | 15 | 16 | 18 | 20 | 22 |
Maximale Temperatur |
32 | 32 | 32 | 30 | 28 | 26 | 26 | 27 | 28 | 29 | 30 | 31 |
Regentage | 13 | 12 | 7 | 5 | 4 | 4 | 3 | 3 | 3 | 4 | 7 | 12 |
Toliara (Tuléar) liegt an der Südwestküste Madagaskars auf Meeresniveau. Chamäleons leben hier in Trocken- und Dornwald, aber auch in Sekundärvegetation. In der Regenzeit steigen die Temperaturen hier täglich locker über 30°C, in der Sonne kann es auch mal 45°C heiß werden. Auch nachts bleibt es gut über 20°C warm. Obwohl es Regenzeit heißt, fällt der Niederschlag im Süden Madagaskars eher mager aus: In guten Jahren regnet es von November bis Februar alle paar Tage ausgiebig. In der Trockenzeit ab April gibt es dann kaum noch Regentage. Die Tagestemperaturen sinken etwas, wenn es auch insgesamt sehr warm bleibt. Nachts können die Temperaturen während der Trockenzeit jedoch schonmal bis 15°C abfallen. Der Unterschied zwischen Tages- und Nachttemperaturen ist hier extrem zu spüren!
Ort: Andasibe | Jan | Feb | Mär | Apr | Mai | Jun | Jul | Aug | Sep | Okt | Nov | Dez |
Durchschnittl. Temperatur |
23 | 24 | 23 | 23 | 22 | 19 | 19 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23 |
Minimale Temperatur |
20 | 20 | 20 | 19 | 18 | 15 | 15 | 15 | 15 | 16 | 18 | 19 |
Maximale Temperatur |
27 | 27 | 27 | 27 | 25 | 23 | 23 | 23 | 24 | 25 | 26 | 27 |
Regentage | 27 | 24 | 19 | 17 | 18 | 21 | 20 | 15 | 16 | 20 | 25 | 26 |
Andasibe liegt im östlichen Hochland Madagaskars auf Höhen von 900 bis 1250 Metern. Die Regenwälder rund um Andasibe bieten einen fantastischen Lebensraum für viele Arten von Chamäleons. In der Regenzeit wird es tagsüber gerne um die 25°C warm, über die 30°-Grenze klettert das Thermometer aber eher selten oder nur in Sonnenflecken. Nachts sinken die Temperaturen während der Regenzeit kaum ab. Es regnet jeden Tag, mal sehr intensiv mit zyklonartigen, lang anhaltendem Regen, mal in vielen kleinen Schauern. Während der Trockenzeit wird es insgesamt etwas kühler, aber vor allem nachts sinken die Temperaturen jetzt noch deutlicher ab. 10 bis 15°C in der Nacht sind keine Seltenheit. Es bleibt tagsüber meist trocken, aber zumindest jeden zweiten Tag gibt es kleinere Regenschauer.
Beobachtungen auf Madagaskar
Ein Individuum von Calumma malthe wurde 2016 von deutschen Wissenschaftlern in Maromizaha im östlichen Hochland Madagaskars in einer Art Kältestarre aufgefunden. Es befand sich liegend in einem verrottenden Baumstumpf. Erstaunlich war an dem Fund, dass am gleichen Abend noch mehr als ein Dutzend Chamäleons der gleichen Art „ganz normal“ auf Ästen sitzend entdeckt wurden. Ein weiterer Fund von 1992 wurde zusammen mit dieser besonderen Beobachtung veröffentlicht: Ein Calumma crypticum war damals starr an einer Felswand in Ranomafana im südlichen Hochland Madagaskars aufgefunden worden. Es war bereits von Lebermoosen etwas überwachsen, was darauf hindeutet, dass das Chamäleon schon länger in dieser Position gesessen haben muss. Das Verhalten wurde vor dieser Veröffentlichung auf Madagaskar noch nicht beobachtet oder zumindest noch nie dokumentiert. Es bleibt noch zu klären, ob es sich bei den Beobachtungen wirklich um eine Form von Hibernation handelt, ob mit dem Verhalten nur kurze Zeiträume überbrückt werden oder es sich schlicht um einen Zufall ohne Zusammenhang mit der Trockenzeit gehandelt hat.
Tatsächlich ist von einigen Chamäleonarten des afrikanischen Festlands bekannt, dass sie die Trockenzeit versteckt und heruntergekühlt starr überdauern. Ob und wie viele Chamäleonarten auf Madagaskar vielleicht ein ähnliches Verhalten zeigen könnten, ist noch völlig ungeklärt. Es bleibt also spannend auf Madagaskar!
Nachahmung von Trocken- und Regenzeit im Terrarium
Um madagassische Chamäleons im Terrarium gesund zu halten, ist es notwendig, die oben beschriebenen Klimabedingungen ihrer Heimat nachzuahmen. Die Nachahmung der Trocken- und Regenzeit hat für die Chamäleons viele Vorteile. Etliche Chamäleonarten benötigen den plötzlichen Temperatur- und Feuchtigkeitsanstieg aus der trockenen Zeit heraus, um überhaupt in Paarungsstimmung zu kommen und sich erfolgreich zu vermehren. Die „Ruhepause“ während der Trockenzeit sorgt bei Jungtieren für ein langsameres, gesünderes Wachstum und ein gesünderes Immunsystem. Erfahrungsgemäß haben Chamäleons, die im Jahresverlauf auch eine kühlere Periode durchleben, eine insgesamt höhere Lebenserwartung im Terrarium als durchgehend gleich warm gehaltene Artgenossen.
Als „Winterruhe“ hat sich der Begriff zur Nachahmung der Trockenzeit in der Terraristik vor allem deshalb eingebürgert, weil man in Deutschland und im übrigen Europa praktischerweise ja bereits eine wärmere und eine kühlere Jahreszeit hat: Winter und Sommer. Und dazu passiert bei Chamäleons ja ganz Ähnliches wie beim Säugetier in der Winterruhe: Es frisst und trinkt noch, aber eben weniger. Man nutzt also mit der „Winterruhe“ die sowieso vorhandenen Gegebenheiten. Zu Ende des Sommers werden die Tage kürzer, was auch Chamäleons in Terrarien bemerken, solange der Terrarienraum Fenster hat. In der Nacht kühlen die Räume stärker herunter und tagsüber wird es weniger warm. Die Chamäleons werden meist bereits allein dadurch merklich ruhiger. Man kann dieses Verhalten noch verstärken, indem man gezielt über Wochen die Temperaturen des Terrariums entsprechend den Temperaturen im natürlichen Lebensraum reduziert. Meist muss man dazu auch die Beleuchtung etwas ändern und die Beregnungs– oder Sprühintervalle reduzieren. Auch der stärkere Abfall von nächtlichen Temperaturen in der Trockenzeit kann je nach Lebensraum einer Art entscheidend sein. Vorsicht: Niedrigere Durchschnittstemperaturen schließen nicht aus, dass ein Chamäleon sich tagsüber nicht trotzdem bei kurz deutlich höheren Temperaturen in der Sonne kurz aufwärmen kann.
Einen Haken gibt es allerdings, wenn man den europäischen Winter zur Nachahmung der madagassischen Trockenzeit nutzt: Die Trockenzeit fällt auf Madagaskar auf den Zeitraum zwischen April und Oktober. Chamäleons im Terrarium in Deutschland dagegen erleben ihre kühlere Jahreszeit zwischen November und März. Für Nachzuchten ist dies in der Regel völlig unproblematisch. Bei Wildfängen kann dies jedoch Probleme geben, da ihre innere Uhr noch auf die entgegen gesetzten Jahreszeiten eingestellt ist. Man kann die Tiere jedoch meist über viele Monate langsam „umgewöhnen“.
Im Sinne der Gesunderhaltung von Chamäleons in der Terraristik bedeutet das Nachahmen von Trocken- und Regenzeit allerdings nicht, dass man jedes Extrem der Natur nachahmt. Eine sehr lang anhaltende Dürre oder massive Überflutungen durch einen Zyklon töten viele Chamäleons in der Natur einfach. Dies kann aber nicht das Ziel in der Terrarienhaltung sein. Das Ziel in der Terraristik muss also sein, das Herkunftsklima so angepasst umzusetzen, dass dem Chamäleon eine idealisierte Version von Regen- und Trockenzeit angeboten werden.