Zu den Baum bewohnenden Chamäleons auf Madagaskar zählen die Gattungen Furcifer und Calumma. Unter ihnen sind sowohl die größten als auch die farbenfrohesten Arten zu finden. Sie verfügen über eine ganze Palette an Drohverhalten, das sie zur Abwehr von Beutegreifern oder unliebsamen Artgenossen einsetzen können. Dieser Artikel soll sowohl Abwehr- als auch Fluchtverhalten genauer erläutern.
Inhaltsverzeichnis
Abwehrverhalten
Farbveränderung
Chamäleons der Gattungen Calumma und Furcifer kommunizieren mittels ihrer Farben und dem Farbwechsel mit Artgenossen. Sind sie gestresst, werden sie dunkler. Sieht ein Männchen dagegen einen gleichgeschlechtlichen Artgenossen, wird es heller. Auch trächtige Weibchen zeigen mit einer völlig veränderten Färbung bei vielen Arten an, dass ein Männchen sich nicht mehr um sie bemühen und fernbleiben soll. Gegenüber Fressfeinden kann man ebenfalls farbliche Unterschiede in der Reaktion der Chamäleons bemerken. Sogar zwischen dem Anblick verschiedener Gattungen von Fressfeinden, zum Beispiel Schlangen und Raubvögeln, kann man manchmal Unterschiede in der farblichen Reaktion eines Chamäleons beobachten.
Vergrößern der Körperfläche
Das augenscheinliche Vergrößern der Körperfläche ist ein klassisches Abwehrverhalten bei Baum bewohnenden Chamäleons. Ein größeres Chamäleon wirkt sofort beeindruckend auf den Beutegreifer oder den angreifenden Artgenossen. Da das Verhalten innerhalb weniger Sekunden abläuft, kann es den Angreifer bestenfalls so erschrecken, dass es ihn zur Flucht oder zum Ablassen von einem Angriff bewegt. Zur Vergrößerung der Körperoberfläche haben Chamäleons viele verschiedene Möglichkeiten. Die meisten Chamäleons beginnen mit dem Aufblähen des Kehlsacks. Dabei wird die Hautfläche des Kehlsacks vergrößert, einige Chamäleons können dazu auch einen zusätzlichen Luftsack verwenden.
Zusätzlich zum aufgeblähten Kehlsack flachen die meisten Chamäleons beim Drohen ihren Körper seitlich ab, so dass er nach unten und oben deutlich größer wirkt. Dazu wird der Schwanz eingerollt und an den Körper gezogen. Wurde man das Chamäleon nun von oben betrachten, wäre es plötzlich nur noch extrem „dünn“ und flach. Die Breitseite des Körpers wird bei diesem Täuschungsmanöver natürlich dem Angreifer zugewendet. Das Chamäleon behält den Anderen im Auge und wendet sich stets mit ihm, um zu vermeiden, dass der Angreifer zufällig doch noch entdeckt, wie „dünn“ und angreifbar das Chamäleon in Wirklichkeit ist.
Abspreizen der Occipitallappen
Einige Chamäleonarten, beispielsweise Calumma malthe, Calumma brevicorne oder Calumma cucullatum, haben Occipitallappen am Kopf. Diese Lappen können nach vorne aufgerichtet bzw. abgespreizt werden. Dadurch wirkt der Kopf dieser Tiere deutlich größer.
Wippen und Beißen
Nutzt die vergrößerte Silhouette und beeindruckende Färbung nichts, reißt das Chamäleon sein Maul auf. Einige Arten und Individuen lassen dann ein Fauchen hören. Nutzt auch das noch nichts, winkelt es die Arme „gebetsartig“ an und wippt mit dem Körper vor- und zurück. Dieses Wippen endet dann in einzelnen stoßartigen Bissen in Richtung des Kontrahenten. Chamäleonbisse sind je nach Größe des Chamäleons durchaus schmerzhaft. Sie kommen wegen der akrodonten Zähne allerdings meist eher einer Quetschung gleich als einer „klassischen“ Bissverletzung, wie sie beispielsweise durch Katzen verursacht werden kann.
Fluchtverhalten
Hinter den Ast drehen
Ein Verhalten, dass alle Baum bewohnenden Chamäleons ungeachtet ihrer Größe zeigen, ist das Drehen des Körpers hinter den Ast, auf dem sie gerade sitzen. Die potenzielle Bedrohung sieht dann nur noch Hände, Füße und eventuell Augen des Chamäleons. Körper und Schwanz „verschwinden“ vollständig hinter dem Ast. Bei kleinen Chamäleonarten wie Calumma gallus kann man dieses Verhalten sehr schnell auslösen. Aber selbst bei sehr großen Chamäleons wie Furcifer oustaleti haben wir dieses Verhalten schon beobachtet. Dreht man den Ast vorsichtig, dreht sich das Chamäleon ebenfalls mit. Das macht das Fotografieren von Chamäleons übrigens häufig schwierig. Man möchte schließlich keinen „Ast mit Augen“ fotografieren. Für Chamäleons ist das Verhalten jedoch überlebenswichtig: Sie zeigen es zum Beispiel, wenn ein Vogel zu nah über sie hinwegfliegt. Auf der anderen Seite des Astes werden sie vom potenziellen Beutegreifer nicht wahrgenommen oder zumindest viel schlechter entdeckt. Im folgenden Foto hat sich ein weibliches Calumma gallus hinter einem Ästchen versteckt.
Weglaufen
Eine einfache Strategie, einer unangenehmen Situation auszuweichen: Davonlaufen. Gerade Chamäleons, die man zufällig auf dem Boden antrifft, probieren oft erst einmal, davonzulaufen. Und einige, vor allem kleinere Arten wie Furcifer wilsii oder Furcifer timoni können dabei erstaunlich schnell werden! Meist suchen sie vom Boden aus direkt den nächsten Baum oder zumindest die nächste Pflanze auf. Dort können sie sich wieder in „gewohnte Höhen“ retten und aus der Sicht eines Beutegreifers entschwinden.
Springen
Viele Chamäleons springen einfach vom Ast, wenn sie keinen anderen Ausweg sehen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn über oder unter dem Tier kein greifbarer Ast nahe genug ist. Die Umgebung wird kurz sondiert, dann werden die Arme vom Ast gehoben und zack! Weg ist das Tier. Besonders bei kleinen Chamäleons wie Furcifer willsii oder Furcifer minor reagieren schnell mit einem solchen Verhalten. Aber auch größere Arten wie Furcifer pardalis nutzen das Springen, um unangenehmen Situationen zu entkommen. Dabei ist völlig egal, was unter dem Chamäleon ist. Sie springen auch auf Steinboden, Felsen oder Asphalt. Dank der Luftsäcke im Körper passiert dabei meistens nicht einmal etwas.
Einrollen und Fallenlassen
Sehr kleine Baum bewohnende Chamäleonarten haben ein Verhalten entwickelt, dass dem Abwehrverhalten von Erdchamäleons teils ähnelt. Bei Calumma linotum und Calumma boettgeri sowie verwandten, sehr kleinen Chamäleonarten kann man beobachten, dass sie sich bei Berührung eng einrollen, dunkel färben und fallen lassen. Durch ihr geringeres Körpergewicht und die aufblasbaren Lungensäcke passiert den Chamäleons dabei nichts. Die Chamäleons fallen meist ins Laub oder in den Wurzelbereich von Bäumen, wo sie dann kurz regungslos und sehr dunkel gefärbt verharren. Für die meisten Beutegreifer (und auch für Menschen) ist es fast unmöglich, sie im Gewirr von Blättern, Ästchen, Moos und Wurzeln wiederzufinden. Das Verhalten ist daher sehr effektiv bei der Flucht vor Beutegreifern. Im Englischen nennt man es rolling.
Im Schlaf vom Blatt/Ast fallen lassen
Baum bewohnende Chamäleons schlafen bevorzugt an den Enden dünner, sie gerade noch tragender Äste. Jungtiere und kleine Arten nutzen sogar die Enden einzelner Blätter zum Schlafen. Man vermutet, dass dieses Verhalten dem Schutz vor Beutegreifern, vor allem Schlangen und größeren Echsen, dient. Nicht alle, aber viele Chamäleons lassen sich nämlich spontan fallen, wenn der Ast bzw. das Blatt unter ihnen von einer Berührung erschüttert wird. Im Englischen wird dieses Verhalten als perch release, übersetzt dem Loslassen des Sitzplatzes, bezeichnet. Von starkem Wind lassen sich die Chamäleons nicht irritieren – greift jedoch ein nachtaktiver Lemur nach dem Ast oder versucht eine Schlange, ihren Körper über den Ast zu winden, löst diese Erschütterung das Fluchtverhalten beim Chamäleon aus.