Chamäleons auf der roten Liste gefährdeter Tierarten

Die „rote Liste“ gefährdeter Tierarten ist vielen Menschen ein Begriff. Auch viele madagassische Chamäleonarten stehen darauf. Auf unserer Website haben wir bei jeder Artbeschreibung einen Hinweis auf die Gefährdung der jeweiligen Art eingefügt. Dieser Artikel soll beleuchten, worum es dabei überhaupt geht.

Was ist die „rote Liste“?

Die „rote Liste“ oder „Red List of Threatened Species™“ ist eine Liste fast aller existierenden Tierarten der Erde. Die Arten sind dabei sortiert nach ihrem individuellen Bedrohungsgrad. Die rote Liste sagt also etwas darüber aus, ob eine Art vom Aussterben bedroht, stark gefährdet oder eher unkritisch in ihrem weltweiten Bestand ist. Auf der Website der roten Liste findet man aber nicht nur den Bedrohungsstatus, sondern auch eine Übersicht zu Verbreitung, Populationsgrößen, Lebensräumen und Ökologie der jeweiligen Art.

Hauptquartier der IUCN in Gland (Schweiz), Foto von Defrenrokorit

Hauptquartier der IUCN in Gland (Schweiz), Foto aufgenommen von Defrenrokorit, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Herausgegeben wird die rote Liste von der Internationalen Union für Arten- und Naturschutz (International Union for Conservation of Nature, abgekürzt IUCN). Die IUCN wurde 1948 gegründet, hat ihren Hauptsitz in der Schweiz und besteht heute aus über 1400 Mitgliedsorganisationen. Als nur eine von nur zwei weltweit tätigen Umweltschutzorganisationen hat die IUCN bei den Vereinten Nationen einen Beobachterstatus.

Die Daten der roten Liste werden weltweit genutzt, wenn es um die Ausweisung neuer Schutzgebiete, die Erhaltung von Lebensräumen oder die Einschätzung von Bestandsgrößen geht. Die Einstufung in einen bestimmten Bedrohungsstatus gibt dabei vor allem den Heimatländern der Arten Hinweise, ob und wie eine Chamäleonart geschützt werden sollten. Sie hat beispielsweise auch Einfluss darauf, ob und in welchem Umfang eine Art über das Washingtoner Artenschutzabkommen für den Handel freigegeben wird oder nicht.

Wie wird eine Chamäleonart eingestuft?

Die einzelnen Arten werden in sogenannten „IUCN Red List Assessments“ besprochen und eingestuft. Dazu lädt die Species Survival Commission (SSC) Experten auf dem jeweiligen Fachgebiet zu einem Treffen ein – bestenfalls alle fünf Jahre, spätestens aber alle zehn. Für Chamäleons ist die IUCN SSC Chameleon Specialist Group zuständig. Sie besteht aus 24 Herpetologen, Biologen, Zoologen und anderen Personen, die sich mit Chamäleons befassen. Die SSC Chameleon Specialist Group besteht ausschließlich aus Ehrenamtlichen, das heißt die Teilnehmer der Gruppe werden für ihren Aufwand nicht bezahlt. Die Specialist Group berät in ihren Treffen über die verschiedenen Chamäleonarten und erarbeitet auf Grund neuester Veröffentlichungen die aktuelle Datenlage verschiedener Arten. Sie schlägt dann der IUCN begründete Änderungen oder neue Einstufungen vor.

Bei der Einstufung einer Chamäleonart wird auf fünf Kriterien besonders geachtet. Einmal ist das der Rückgang der Populationsgröße einer Art. Wird eine Chamäleonart als bedroht eingestuft, müssen sinkende Populationsgrößen beobachtet worden oder schonmal eine bestimmte Bestandsgröße ermittelt worden sein. Genauso könnte eine Einstufung aber auch erfolgen, wenn das Verbreitungsgebiet einer Art sich nachweislich stark verkleinert hat oder im Verbreitungsgebiet beispielsweise wie auf Madagaskar vielerorts Saphire abgebaut oder intensiv Viehzucht betrieben und damit Lebensraum massiv zerstört wird. Ebenfalls als bedroht eingestuft werden kann eine Art, wenn durch beispielsweise eingeschleppte Arten wie Hauskatzen, Kreuzung mit anderen Arten und damit genetischer Vermischung, durch bestimmte Krankheiten (bekanntestes Beispiel ist hier sicher die „Salamanderpest“, auch wenn sie mit Chamäleons nichts zu tun hat) oder Parasiten mit einem schnellen Rückgang zu rechnen ist.

Brookesia desperata im Forêt d’Ambre im Norden Madagaskars – die Art kommt nur in einem winzigen Verbreitungsgebiet vor

Ein zweites Kriterium zur Einstufung ist die Verbreitung einer Art. Dabei unterscheidet man zwischen einem möglichen Verbreitungsgebiet (extent of occurence), also einem Gebiet, in der die Chamäleonart theoretisch vorkommen kann, und dem tatsächlichen Verbreitungsgebiet (area of occupancy), also dem Bereich, wo die Tiere wirklich noch leben. Für die Einstufung als bedrohte Art muss das Verbreitungsgebiet einer Chamäleonart stark zerstückelt sein oder eine bestimmte Zahl an einzelnen Populationen unterschreiten. Außerdem muss entweder eine stetige Verkleinerung des Verbreitungsgebietes beobachtet worden sein oder die Zahl geschlechtsreifer Individuen stetig sinken.

Drittes Kriterium zur Einstufung sind Populationsgrößen und -rückgang. Dabei führt eine bestimmte geringe Zahl geschlechtsreifer Chamäleons in einer Population zusammen mit einem geschätzten Rückgang der Populationsgröße um einen bestimmten Prozentsatz in einem bestimmten Zeitraum zur Einstufung als bedrohte Art. Statt der gesamten Populationsgröße reicht zur Einstufung auch der Rückgang der geschlechtsreifen Chamäleons einer Art unter eine bestimmte Zahl.

Das vierte Kriterium zur Einstufung betrifft sehr kleine Populationen. Wenn eine bestimmte Zahl geschlechtsreifer Tiere in einer Chamäleonpopulation nachweislich unterschritten wird, kann die Art als bedroht eingestuft werden. Für vulnerable gilt dabei eine Besonderheit: Verfügt das tatsächliche Verbreitungsgebiet einer Chamäleonart über weniger als 20 km² oder weniger als fünf Einzelpopulationen, kann eine Art immer in diese Kategorie eingestuft werden.

Zuletzt wird zur Einstufung des Bedrohungsgrades eingeschätzt, wie wahrscheinlich das Aussterben einer Chamäleonart auf Grund der aktuellen Datenlage ist. Die Daten der einzelnen Red List Assessments gelten nach zehn Jahren automatisch als veraltet, wenn sie nicht bereits in diesem Zeitraum überarbeitet wurden.

Welche Bedrohungs-Kategorien gibt es?

Die IUCN stuft die Arten der roten Liste in eine von neun Kategorien ein, wie die folgende Leiste zeigt. Je weiter rechts auf der Leiste sich eine Chamäleon-Art befindet, desto bedrohter ist ihr Bestand. Generell als „bedroht“ gelten dabei die Einstufungen vulnerable, endangered und critically endangered.

 

Not evaluated = nicht beurteilt

Diese Einstufung gilt für solche Arten, die noch keiner Beurteilung unterzogen wurden. Dabei handelt es sich meist um wiederentdeckte, lange für verschollen gehaltene Arten wie Furcifer voeltzkowi oder erst kürzlich neu beschriebene Arten wie Calumma roaloko. Diese Arten sind sozusagen noch nicht in die rote Liste aufgenommen. Sie können aber trotzdem bereits stark bedroht sein!

Data deficient = Daten unvollständig

Zu einigen Chamäleonarten gibt es kaum Wissen außer dem, dass sie existieren und wie sie aussehen. Sie sind einfach noch nicht gut genug oder gar nicht erforscht. Zu diesen Arten gibt die IUCN dann keine Einschätzung, weil eben nicht genügend Daten verfügbar sind. Sobald die Datenlage sich ändert, kann die Chamäleonart nachträglich in eine Bedrohungskategorie eingestuft werden. Ein madagassisches Beispiel dafür ist die Art Brookesia lambertoni. Dieses Chamäleon wurde seit Jahren auf Madagaskar nicht mehr gefunden und es gibt fast keine Veröffentlichungen zu Biologie, Vorkommen und Aussehen außer der Erstbeschreibung.

Least concern = nicht gefährdet

Von dieser Chamäleonart gibt es noch sehr viele Tiere und/oder sie sind auf Madagaskar weit verbreitet, vielleicht auch gar nicht auf spezialisierte Lebensräume angewiesen. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist das häufigste Chamäleon Madagaskars, Furcifer oustaleti. Diese Art kommt in extrem vielen Regionen Madagaskars vor und besiedelt dabei unterschiedlichste Lebensräume. Regenwald, Dornwald, Savannen, Sekundärvegetation innerhalb von Dörfern – diese Chamäleons sind unglaublich anpassungsfähig. Sie stören sich kaum an menschlicher Besiedlung. Man findet überall in der Regenzeit Jungtiere dieser Art. Es ist insgesamt nicht davon auszugehen, dass die Art innerhalb der nächsten Jahre plötzlich stark zurückgeht. Deshalb wird sie als „nicht gefährdet“ eingestuft.

Near threatened = potenziell gefährdet

Potenziell gefährdet ist sozusagen die Vorstufe für eine Bedrohungsstufe. Man geht davon aus, dass diese Chamäleonart in den nächsten Jahren mit Lebensraumverlust oder anderen Problemen zu kämpfen haben wird. Diese Art könnte also in den nächsten Jahren in eine der bedrohten Kategorie wechseln, wenn nichts dagegen unternommen wird.

Vulnerable = gefährdet

Diese Bedrohungseinstufung wird vergeben, wenn eine Art bereits um 30 bis 50% dezimiert wurde. Alternativ kann eine Chamäleonart auch als gefährdet eingestuft werden, wenn über einen Zeitraum von 100 Jahren dieser Rückgang anzunehmen ist. Parallel ist das tatsächliche Verbreitungsgebiet der Art bereits unter 2000 km² groß oder es gibt nur noch 10 oder weniger Populationen. Es existieren nur noch weniger als 10.000 geschlechtsreife Tiere der Art oder weniger als 1000 Individuen in einer Einzelpopulation und diese Einzelpopulation ist in 10 Jahren um 10% gesunken. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine gefährdete Art ausstirbt, liegt bei 10% oder mehr innerhalb der nächsten 100 Jahre.

Endangered = stark bedroht

Eine Art, die unter der Kategorie „stark bedroht“ gelistet wird, wurde bereits um 50 bis 70% in ihrem Bestand dezimiert. Alternativ kann eine Chamäleonart auch als stark bedroht eingestuft werden, wenn über einen Zeitraum von 100 Jahren dieser Rückgang anzunehmen ist. Zusätzlich ist das tatsächliche Verbreitungsgebiet der Art kleiner als 500 km² groß oder es gibt nur noch fünf oder noch weniger Populationen. Es existieren nur noch 2500 geschlechtsreife Tiere der Art oder sogar noch weniger. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine stark bedrohte Art ausstirbt, liegt bei 20% oder mehr innerhalb der nächsten 20 Jahre.

Critically endangered = vom Aussterben bedroht

Dies ist die höchste Bedrohungskategorie. Sie wird bisher zum Glück bisher nur von wenigen madagassischen Chamäleonarten erreicht. Bei einer Art, die vom Aussterben bedroht ist, hat sich der Bestand bereits um 80 bis 90% verringert oder dieser Rückgang ist über einen Gesamtzeitraum von rund 100 Jahren zu erwarten. Außerdem kommt die Art auf weniger als 10 km² vor oder es ist nur noch eine einzige Population überhaupt vorhanden. Es gibt nur noch 250 oder weniger geschlechtsreife Tiere dieser Chamäleonart oder weniger als 50 Individuen in jeder Population. Das Risiko, dass diese Art in den nächsten 10 Jahren ausstirbt, liegt bei über 50%, ist also extrem hoch.

Extinct in the wild = in der Natur ausgestorben

Für diese Tiere ist es schon zu spät: Davon gibt es in der freien Natur keine Tiere mehr. Die Art existiert aber noch in Zoos oder privaten Haltungen weltweit. Aus diesem winzigen Bestand kann man bestenfalls genügend Tiere züchten, um die Art zumindest in Menschenhand zu erhalten.

Extinct = völlig ausgestorben

Als ausgestorben gilt eine Art, von der es weder in freier Natur noch in Menschenhand noch Tiere gibt. Diese Art ist nach aktuellem Stand der Wissenschaft nicht mehr zu retten.

Wie oft werden die Daten der IUCN und die Einstufung aktualisiert?

Anträge auf Änderungen können ständig eingereicht werden. Ungefähr zwei Mal im Jahr aktualisiert die IUCN die rote Liste. Bei den Chamäleons ist es allerdings mehrheitlich so, dass Änderungen und Aktualisierungen fast ausschließlich während der Treffen der SSC Chameleon Specialist Group auf den Tisch kommen.

Welche Probleme gibt es bei der Einstufung von Chamäleons?

Von vielen Arten existieren noch nicht besonders viele Daten. Und geforscht wird meist eher an gut zugänglichen Arten, weniger an schlecht aufzufindenden oder kaum bekannten Arten. Von etlichen Chamäleonarten auf Madagaskar weiß man bereits, dass sie existieren und wahrscheinlich eine neue Art darstellen. Eine neue Art zu beschreiben ist heute aber nicht mehr so einfach wie vor hundert Jahren. Es müssen Daten und Proben gesammelt werden, mühsam dafür Genehmigungen und Gelder zur Finanzierung von Expeditionen aufgetrieben werden, die Proben müssen untersucht und das Ganze ausgewertet werden. Viele Gegenden sind schwer zugänglich und erfordern deutlich mehr Aufwand als anderswo auf der Welt, um dorthin zu gelangen. Nur: Wer als Chamäleon gar nicht beschrieben ist, kann auch schlecht unter Schutz gestellt werden. Und die Artbeschreibungen dauern manchmal länger, als die Populationen überhaupt noch existieren.

Brookesia nofy von der Ostküste Madagaskars wurde 2024 beschrieben, ist aber bisher noch nicht auf der roten Liste zu finden

Neuere Arten sind oft noch nicht in eine Kategorie eingestuft. Da die Chameleon Specialist Group sich regulär nur alle paar Jahre trifft, dauert es also immer eine gewisse Zeit, bis die Einstufung überhaupt zustande kommt. Das kann für manche Arten gerade in von Brandrodung bedrohten Gebieten schlicht ein paar Jahre zu spät sein.

Problematisch sind fehlende oder stark veraltete Daten gerade bei der Einstufung von Chamäleonarten. Gibt es nur eine Studie zum Bestand einer Chamäleonart, muss von der dort vorgefundenen Bestandsgröße ausgegangen werden. Über die Jahre verändern sich Bestandsgrößen aber teils dramatisch und je nach Ort auch unerwartet schnell.

Häufig kommen mit der Zeit auch neue Informationen dazu, die man früher nicht gewusst hat und die Einschätzung zur Bedrohungslage einer Art stark verändern. So ging man beispielsweise jahrelang davon aus, dass Calumma parsonii parsonii ein reiner Regenwaldbewohner ist. Heute weiß man, dass Parsons Chamäleons auch in Sekundärvegetation wie Kaffeeplantagen gut überleben können. Ein nicht mehr vorhandener Primärwald macht dieser Art also weniger aus als beispielsweise Calumma guillaumeti, die man bisher ausschließlich und nur in dichtem, noch völlig intaktem Regenwald gefunden hat.

Unvollständige Daten können auch zu Fehleinschätzungen der Bedrohungslage führen. Furcifer angeli, ein Chamäleon aus dem Westen Madagaskars, kommt beispielsweise zwar noch in wahrscheinlich relativ großer Zahl auf der Insel vor. Die einzelnen Populationen sind jedoch sehr stark in kleine, voneinander isolierte Gebiete zersplittert. Dadurch kann das Absammeln dieser eigentlich „nicht so stark bedrohten“ Art nur an einer Stelle trotzdem zum Aussterben der jeweiligen Population führen.

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